ad usum proprium 
die literarische Seite von Birgit Gerlach

INHALT / FUNDUS


EINE GESCHICHTE - EIN MOMENT

ANDERSWO GESEHEN

KUALA LUMPUR

 

 

Speisen – Beobachtungen eines Fremdlings


Kuala Lumpur ist eine beeindruckend moderne Stadt mit futuristischen Hochstraßen, glänzenden Bahnhöfen, Häusern mit kunstvollen Glasfassaden, auf einigen ein Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach, in der man sich als Deutscher zuweilen vorkommt wie ein Hinterwäldler. An anderer Stelle stößt man auf Garküchen vor baufälligen Holzhütten, zwischen denen die Ratten genauso hin- und herhuschen wie in Merseburg an der Klia.

Neben ihrem Wahrzeichen, den berühmten Petrona-Towers, die neben dem siebthöchsten Fernsehturm der Welt auf den ersten Blick das Stadtbild zu bestimmen scheinen, gibt es weitaus mehr und höchst Interessantes zu entdecken.


Der zentrale Unabhängigkeitsplatz, Merdeka, auf dem früher die Engländer Kricket gespielt haben sollen, erinnert an die Kolonialzeit. Ab ca. 1840 wurde im Selangorfluss nach Zinn geschürft, was erst die Niederländer und dann die Briten anlockte. Die den Platz säumenden historischen Bauten sind eine Mischung aus kontinentalem und maurischem Stil und bilden hier eine attraktive Kulisse. An anderen Stellen in der Stadt wirken die Häuser aus der Kolonialzeit gelegentlich wie von der Zeit überholte Fremdkörper.
1957 wurde Britisch-Malaya unabhängig, 1963 entstand daraus und aus drei weiteren ehemaligen britischen Kolonialgebieten, Nordborneo, Singapur und Sarawak, das jetzige Malaysia.


Das Ursprungsdorf, aus dem sich später die Metropole Kuala Lumpur entwickelte, ist heute der Stadtteil Kampung Baru. Hier gibt es sie noch, die Häuser auf Stelzen gebaut, um so den wiederkehrenden Überschwemmungen zu widerstehen.


Am Straßenrand wird an mit Wellblech oder Planen gedeckten Ständen gekocht, gebraten und frittiert. Suppe brodelt in großen metallenen Kesseln, ein Mann schält mit schwarz geränderten Fingern Bananen, legt sie in eine große Plastikschüssel, in der sie von einer Frau zu Brei geknetet werden, der dann klumpenweise in Frittieröl geworfen und feilgeboten wird.


Zu den Ureinwohnern des malayischen Dorfes und den Kolonialherren, die 1896 Kuala Lumpur zur Hauptstadt der Föderation Malaya ernannten, kamen vor allem chinesische und indische Einwanderer hinzu, die sich in eigenen, jedoch nicht streng voneinander getrennten Stadtvierteln ansiedelten.

Gleich neben Chinatown liegt Sri Maha Mariamman, der älteste noch genutzte Hindutempel Malaysias, der für jeden Besucher offen steht. Davor wuselt eine geschäftige Menschenmenge um Verkaufsstände mit Obst und Gemüse, das von den Händlern theatralisch angepriesen wird.
Am Eingang der Tempelanlage müssen die Schuhe gegen den Erhalt einer Garderobenmarke abgegeben werden. Frauen in kurzen Kleidern oder Röcken werden hübsche, mit Goldfäden durchwirkte Brokattücher ausgehändigt, um die Beine zu verhüllen. Danach schauen sie ein wenig so aus, wie wenn sie hierher gehörten. An freien Schultern und weiten Ausschnitten stört sich erstaunlicherweise niemand, völlig anders, als man das beispielsweise in muslimischen Moscheen oder katholischen Kirchen erlebt.
Durch das reichlich verzierte Portal, einem fünfstöckigen Torturm mit leuchtend bunten Darstellungen hinduistischer Götter, erreicht man den Innenhof der Anlage, von dort den Hauptgebetssaal, das Herzstück des Tempels



Auf glänzendem Marmorboden sitzen zwei Schalmaienspieler und ein Trommler, deren gleichförmiges Spiel die Besucher in eine Art Trance versetzt und sie fasziniert von all dem Prunk durch die Halle wandeln lässt.

Als Mosaike an den Wänden oder als Statuen sind, von ganz klein bis mehrere Meter hoch, hinduistische Gottheiten dargestellt, weibliche und männliche, meditierende, auf Pferden, Löwen oder Fabeltieren reitende, Mandoline oder Handtrommel spielende.

Ihre Gesichter sind betörend schön, zuweilen auch in rosa oder hellgrün, und meist mit einem Bindi, dem roten Punkt zwischen den betonten Augenbrauen, oder aber einem Elefantenrüssel statt der Nase.

Vor einem Schrein, der von menschengroßen, gekrönten, vierarmigen, weiblichen Gestalten flankiert ist, entzünden zwei Priester mit freiem Oberkörper, geschmückt mit langen Perlenketten und um die Lenden geschlungenen, bodenlangen, dezent verzierten Tüchern, bedächtig und bedeutungsvoll zwei Kerzen. Dann stellen sie opulente Schalen mit Obst davor ab, der Beginn einer Zeremonie.


Eine Prozession, angeführt von den Priestern, die nun die Obstschalen vor sich hertragen, gefolgt von den Gläubigen, zwei Frauen und einem Mann, bewegt sich im Tempel von Schrein zu Schrein, begleitet von einem lauten, schrillen Glockengeläut.

Diese Gläubigen haben, so wie es Sitte ist, Gaben zum Tempel mitgebracht, die nun den Göttern dargeboten werden. Wer zum Tempel geht und gerade nichts zum Opfern dabei hat, kann praktischerweise an den Ständen vor dem Eingang die Gaben noch schnell einkaufen.

Der Weg der Gruppe endet vor einem besonderen, durch Absperrgitter geschützten Schrein, auf dessen Altarsockel eine goldene Gottheit thront. Sie trägt eine steile, hohe Krone und ist mit üppigen Blumengirlanden geschmückt, die sie fast völlig bedecken. Zu ihren Füßen liegen mehrere mit Milch gefüllte Tüten, Beutel mit Getreidekörnern und eine Flasche, vermutlich mit Speiseöl.

Die Obstspenden der Gläubigen werden dazugelegt und die Gottheit wird gebeten, die Gaben anzunehmen. Der Priester hält Rücksprache mit ihr, und offensichtlich wird der Fall positiv beschieden. Die edlen Spender erhalten als Segensgaben Blüten aus der Girlande der goldenen Göttin. Zum Abschluss der Zeremonie wird abermals eine durchdringend tönende Glocke geschlagen.

Später lädt ein Tempeldiener die Nahrungsmittel auf einen Edelstahlwagen, wie er in Gaststätten oder Krankenhäusern üblich ist, und transportiert sie zu einem abermals durch Barrieren abgesperrten Raum. Hinter einer vergoldeten Tür werden die Gaben aufbewahrt und von dort für wohltätige Zwecke in der Gemeinde weitergegeben oder aber dem nächsten bedürftigen Gläubigen als Gabe Gottes übereignet. Denn in der Zwischenzeit ist die Melone nicht mehr die banale Frucht vom Verkaufsstand vor dem Tempeltor, sondern sie hat die heilige Kraft der Götter in sich gespeichert.


Auf der Petaling-Street, der Hauptgeschäftsstraße von Chinatown, läuft man entlang an Garküchen und zahlreichen Ständen, an denen gerösteten Maronen, Obst, Kleidung und allerlei Krimskrams feilgeboten werden. Eine Apotheke preist Heilwurzeln und -pilze an, vor dem Verkaufstresen prangt ein Werbeschild mit den Konterfeis der Heilkundigen des Hauses.


In Brickfields, nahe der Sentral Station, stößt man auf einen vermeintlichen, riesengroßen „Weihnachtsmarkt“. Übermorgen ist Diwali, das Lichterfest, das Hauptfest des indischen Jahres. Menschenmassen schlängeln sich durch die Straßen, vorbei an unzähligen Verkaufsständen mit Naschwerk. Glitzernde Festkleider und Saris sind zu bestaunen, wie aus tausendundeiner Nacht, opulente Schmuckstücke, Dekorationen aus glitzerndem Papier oder Kunstblumen.

Vieles erinnert an Weihnachtsbaumschmuck, auf den Schachteln der Lichterketten steht „Christmas“ und „Diwali“.

Der Höhepunkt des Marktes ist eine Gasse aus eng gestellten Tischen, an denen Girlanden, Troddeln und Ringe aus echten Blumen gefertigt werden, dicht und flauschig oder ganz zart geknüpft aus einzelnen kleinen Blüten.

An anderer Stelle lassen sich Frauen für das Fest kunstvolle Motive mit Henna auf die Arme und Hände malen. Plätzchen und Süßigkeiten wie türkischer Honig, Konfekt und buntes Fruchtgelee werden angeboten, vieles in grell-bunten Farben.


Auf dem Rückweg geht es mit der Monorail, einer Hochbahn, die auf einer einzigen großen Schiene klemmt, bis Imbi und dann zum Food Night Market in der Alor Street, ein ebenfalls indisch dominiertes Viertel.


Aus Zuckerrohr wird Saft gepresst, ...

und ich rieche das erste Mal an einer Durian, zum Kosten kann ich mich nicht durchringen.

Die Stinkfrucht ist oval und so groß wie ein Kürbis, sieht aus wie eine überdimensionale, stachelige Riesenkastanie. Der Geruch erinnert an eine Mischung aus Benzin und Schweißsocke.

Stattdessen gibt ein ganz besonderes Kokos-Eis zum Probieren. Es wird mit dem Spachtel auf einer eisigen Platte mehrfach ausgewalzt und wieder zusammengekratzt, bis es endlich für gut befunden und in die Waffel gespachtelt wird.

Ein wahrer Hochgenuss! Köstlich wie frische Kokosnuss.


Das Abendessen in einem chinesischen Lokal, Huhn in Orangensauce mit Bao, einem Reisknödel, dazu ein kleines Schälchen Krautsalat, der im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend ist. In seiner Mitte ist ein Klecks Sambal versteckt, eine rotbraune Soße aus frischen Chilischoten.

Fast jede Mahlzeit birgt hier eine Überraschung:

Der Gurkensaft, serviert in einem Bierhumpen, dekoriert mit Zitronenscheibe, war zuckersüß, und die filigranen Pommes, an einer Speisetheke selbst ausgesucht - also gucken und mit dem Finger draufzeigen - hatten bei näherer Betrachtung plötzlich Augen: es waren frittierte Anchovis.


Na dann, frisch auf. Was der Merseburger nicht kennt, … muss er probieren.



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